Nach zweieinhalb Monaten zu Hause (bei den Eltern) ist mir langsam die Decke ordentlich auf den Kopf gefallen. Naja, ehrlich gesagt schon vorher, insbesondere wenn das Wetter nicht outdoorhängemattentauglich war. Oh man, alles super, comfy Hängematte im Garten, Vogelgezwitscher, (zu) laut quakende Frösche, Vollpension inkl. dem besten Eis ohne Limit.., aber dann: Regen.. Klasse! Nene, es musste etwas anderes her. Hängemattenyoga und Rad fahren, Nähen und dann mit über einem Monat Verspätung Schwimmen im Freibad haben nicht gereicht. Also nicht dass das Wetter immer so mies gewesen wäre, aber besonders an diesen Schlechtwettertagen habe ich mich woanders hin gewünscht.
Also habe ich meine sowieso nur mäßig betriebene Suche nach einem befristeten Job erstmal beiseite gelegt und mich auf die Suche nach einem Segelboot gemacht. Wo? Hier. Die Idee hatte ich schon vor zwei Jahren als ich mich intensiver mit möglichen Zielen meiner Reise beschäftigt habe. Wieso nicht einmal auf einem Boot mitsegeln? Ca. zwei Wochen bevor ich dann tatsächlich wieder los bin, hatte ich Kontakt mit dem Besitzer eines 23 Meter langen Segelbootes, der zu dem Zeitpunkt (und wie sich später herausstellen soll, auch noch etwas länger) in Sizilien in der Marina lag und zu den griechischen Inseln segeln wollte. Wir haben ein paar Mails hin und her geschrieben und zwei Mal telefoniert. An die beiden Telefonate sollte ich später noch das ein oder andere Mal denken..
Aber zunächst sah es aus, als würde das ganze Unterfangen doch nichts werden. Nach Sizilien schwimmen war nicht der Plan, mit dem Zug fahren erst schon, wurde dann aber wegen der doch sehr langen Dauer und dem damit verbundenen dauerhaften Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes wieder verworfen. Es wären ja doch mehr als nur ein paar Stunden geswesen. Also der Flieger. Das war gar nicht so einfach. Die angebotenen Flüge haben sich stetig verändert, Routen wurden abenteuerlich zusammen gestellt. Ich möchte ja nicht für 40 Euro nach Italien fliegen, aber 700 Euro mit 1-2 Transfers und 17 Stunden waren nun nicht wirklich attraktiv. Irgendwann tauchte dann mal ein (bezahlbarer) Direktflug auf, dann war er wieder weg, auch auf der Seite der Fluggesellschaft.. Und weil das alles so war wie es war und der Bootsmensch meinte, ich solle doch so schnell wie möglich kommen, habe ich erstmal abgesagt.
Die Reaktion darauf war, dass es doch okay wäre, etwas später zu kommen. Es waren sowieso nur ein paar Tage, im Nachhinein hätte ich auch einfach eine Woche später fliegen können. Anyway, auf einmal war da wieder dieser Direktflug, den ich dann ganz schnell für in sieben Tagen gebucht habe, bevor er wieder verschwindet.. who knows..
Soweit so gut. Was braucht man nun auf so einem Segelboot? Decksschuhe, ggf. Handschuhe, wasserdichte Klamotten, viel Sonnencreme und Kopfbedeckung. Und unbedingt eine Hängematte. Und was der Mensch noch so braucht. So Schuhe und Handschuhe mussten aber natürlich erstmal besorgt werden, so etwas hatte ich bisher nicht in meinem Reisefundus. Geshoppt wurde in Hamburg, zum ersten Mal war ich in einem Segelladen. Und bin glücklicherweise auch fündig geworden.
Weitere Vorbereitungen waren wieder die Abmeldung aus Deutschland, in diesem Fall von der Agentur für Arbeit, Krankenkasse usw. Kenn‘ ich mich jetzt inzwischen mit aus. Wie kompliziert mir der Behörden- und Krankenkassendschungel letztes Jahr noch erschien.. 🙂
Dank Annika und Tim konnte ich die sehr kurze Nacht vor dem Flug in Hamburg verbringen und habe mich ganz dekadent morgens um vier zum Flughafen kutschieren lassen. Von einem Taxi, nicht von Annika und Tim. Für alle, die denken, dass der Mittelplatz in Coronazeiten frei bleibt: Falsch gedacht. Der Flieger war voll.
In Catania angekommen hieß es dann erstmal den richtigen Bus nach Siracusa zu finden. Gar nicht so leicht, Internetseiten waren alle murks und ob die up to date waren ist noch mal eine ganz andere Frage. Laut der Dame an der Touriinfo im Airport wären draußen drei Häuschen und das erste davon wäre das, was ich besuchen sollte. Alle drei Häuschen waren aber zu.. hmm, soweit so gut.. ich schätze so eine Dreiviertelstunde später hat sich eine Person in Häuschen Nummer drei bequemt. Immerhin, es kam Bewegung in die ganze Sache. Laut der Dame in Häuschen drei kommt irgendwann ein Bus, der in Siracusa hält. Aber eventuell kommt von Busunternehmen in Häuschen eins der Bus vorher.. Aha. Ich sollte lieber noch etwas warten bevor ich ein Ticket kaufe. Gut. Solange habe ich mich mit einem anderen Deutschen unterhalten, der schon mal länger auf Sizilien war, aber trotzdem Häuschenbingo spielen musste. Irgendwann kam die wirklich sehr hilfsbereite Dame dann aus ihrem Häuschen (Nummer drei, für die, die den Überblick verloren haben) und hat wilde Zeichen gegeben. Der Bus würde ganz bald kommen, sie hätte gerade mit dem Busfahrer telefoniert. Sie sprach von wenigen Minuten. Aus Erfahrung weiß ich ja, dass “gleich“ und auch “wenige Minuten“ dehnbare Zeitangaben sind. Als nach 15 oder vielleicht 20 Minuten dann weit und breit kein Bus zu sehen war, ist sie über die Station gelaufen, hat mich gesucht und dabei telefoniert. Wie gesagt, sie war wirklich hilfsbereit. Der Bus würde im Verkehr fest stecken. Weitere 15 Minuten später kam sie dann ganz aufgeregt in meine Richtung gelaufen und hat mich an einem einfahrenden Bus, dessen Fahrer sie etwas zugerufen hat, vorbei gelotst. Und zwar, ihr ahnt es schon, zu Häuschen Nummero Uno.. 🙂 schnell 20 Cent mehr bezahlt, Ticket getauscht und ab in den Bus.
In Siracusa dann noch ca. zehn Minuten durch die Stadt nach Ortigia und dort direkt zur Marina. Und dort war ich genau zehn Tage. Das Boot war weder segelfertig (auch nicht fast) und es fehlte noch an Crew. Nach ein paar Tagen habe ich auch verstanden, warum es so eilig war, dass ich dahin komme. Irgendwer, oder vielmehr irgendeine musste ja die Küche und das Bad putzen.. Ne, is klar. Dass das während der Segelei dazu gehört ist klar, aber wenn jemand seit vielen Monaten (oder Jahren) auf dem Boot lebt und er weiß, dass er wieder los will und das ganze sogar als Projekt bezeichnet, könnte er sich ja auch darauf vorbereiten. Oder zumindest den Leuten sagen, was sie erwartet. Niemand wurde darüber vorab in Kenntnis gesetzt, dass das Boot nicht fertig ist. Dave, der bereits knapp eine Woche vor mir da war, hat alles mögliche repariert, irgendwelche Thermostate, Dinge am Motor und was weiß ich noch. Wenn der nicht gewesen wäre, würde das Boot vermutlich niemals los segeln.. In der Marina fanden die Leute das äußerst amüsant, ein Großteil hat vermutet, dass das Boot niemals los kommt..
[ngg src=“galleries“ ids=“14″ exclusions=“172,173,174,175,176,177,178,179,180″ sortorder=“172,173,174,175,171,176,177,178,179,180″ display=“basic_slideshow“]Als ich angekommen bin, wurde mir als erstes die Kabine gezeigt, die ich mit der einen Tag später ankommenden Alessandra teilen würde. Niemand hat Luxus erwartet, aber würde der Mann nicht so viel Zeugs horten, hätte auch jede*r eine eigene Minikabine haben können. Auf jeden Fall musste ich die Staumöglichkeiten erstmal putzen, vorher wollte ich da wirklich nichts rein legen. Und ich steh echt nicht so auf Putzen..Ungefähr der zweite Satz nach meiner Ankunft war, dass ich keine Bootsführung erwarten müsste, es handele sich ja um ein Projekt und nicht um einen Urlaub mit Reiseguide. Ahja. Haben Projekte nicht auch einen Projektplan, was ist zu tun, bis wann etc.. DEN gab es aber natürlich nicht. Soviel zu dem Projekt..
Anschließend habe ich mir den ersten von vielen Vorträgen darüber angehört (die Telefonate, ich hätte es wissen sollen), wie wichtig dies oder das auf einem Segelboot wäre. Nicht, dass dies grundsätzlich unwichtig wäre, aber hier ging es eher um Dinge, die mir selbstverständloch erschienen. Und schade, dass ich bis zu meinem letzten Tag dort nicht eine einzige Rettungsweste gesehen habe.. waren vermutlich unter irgendwelchen Werkzeugen vergraben. Das hätte ich als wichtig erachtet. Und nicht, dass der Ingwer ganz unbedingt links liegen muss und die Milch im Kühlschrank immer vorne rechts. Jaaa, dumm nur, wenn man auf einmal mehr als eine Person ist. Dann sind ganz höchst wahrscheinlich auch mehr Lebensmittel im Kühlschrank. Und dann kann es schon mal vorkommen, dass die Karaffe mit dem Wasser vor der Milch steht.. Weltuntergang!
Ah ja, und dann sollte ich noch erwähnen, dass der Kapitän schon etwas älter war/ist: 81. Das ist an sich natürlich kein Ding und ich habe keine Ahnung, ob der schon immer so war oder ob das eine Art Alterserscheinung ist: Er hortet gerne unnütze Dinge, in Massen. Und das auf einem Boot. Auch wenn es recht groß war (23 m lang), ist Platz auf Booten grundsätzlich eher Mangelware. Das Boot hatte mehr als sechs Kabinen, mindestens die Hälfte war von “Dingen“ belegt. Und ja, es ist sicher toll, wenn man vieles alleine machen kann, aber ich glaube die bootseigene Werkstatt hat mehr Utensilien umfasst als die meines Vaters und der Nachbarn zusammen… Und so eine umfangreiche Plastiktüten und leere Klorollensammlung habe ich noch nie gesehen. Fein säuberlich aufgehängt an irgendwelchen Schnüren.
Ganz ehrlich, alleine hätte ich das keine zehn Tage ausgehalten. Ich war froh, dass schon jemand da war. Zum Glück gab es noch Dave, der hat sich die meisten der unnützen Vorträge angehört und es dann doch gemacht, wie er wollte. Mal davon abgesehen, gab es für die männliche Crew weniger Vorträge als für die weibliche. Und obwohl der Kapitän mit Sicherheit glaubt, dass Frauen in der Küche besser aufgehoben sind als Männer, wusste er auch hier alles besser. Für Alessandra, die mir am ersten gemeinsamen Tag noch erklärt hat, dass der Kapitän immer im Recht ist, schien dass dann doch auch irgendwann zu viel gewesen zu sein. Sie hat das Boot nach vier oder fünf Tagen wieder verlassen.
In diesen Tagen haben wir Damen hauptsächlich der klassischen Rollenverteilung genügt. Shopping auf dem Markt (lecker das Gemüse, der Käse, die (gerösteten Mandeln und was es sonst noch alles gab), kochen, putzen, abwaschen. Letzteres habe ich irgendwann verweigert, es gab einen Geschirrspüler. Den kann man dann ja auch benutzen. Vor allem wenn die Herren gerne drei Gläser und fünf Tassen am Tag benutzen..
Und ja, ich habe auch ein paar andere Dinge gemacht, schließlich muste ich noch komplett angelernt werden, also was die Segelei angeht. In den zehn Tagen ist das allerdings viel zu kurz gekommen, blöd. Weil ich die größte Person an Bord war, durfte ich ein paar Mal den Mast raufklettern, als wir die Segel auf Schäden begutachtet haben. Und irgendwelche Leinen/Seile von Algen befreien. Einen anderen Tag habe ich mit dem Schlauch das ganze Deck abgespritzt (und mich selbst gleich mit, war schön warm da). Zu dritt haben wir das Dinghy ins Wasser gelassen (nach dem Aufpumpen) und Dave und ich haben eine kleine Spritztour gemacht. Mit dem Dinghy sind Dave und ich auch einen Morgen zur Divebase gefahren, um einen Tauchgang im Mittelmeer zu machen. Das erste Mal tauchen im Mittelmeer. Ich hatte nicht so richtig Erwartungen und das was auch gut so, es gab (an diesem Tauchspot) nicht wirklich viel zu sehen. Schade. Ist eben nicht das Rote Meer oder irgendwo auf den Malediven. Und über das Verhalten italienischer Tauchguides sag ich jetzt hier mal nichts.
Eine Woche nach meiner Ankunft in Ortigia ist dann noch ein Italiener hinzu gekommen (jaja, aber ich sollte unbedingt ganz schnell da sein). Ich habe ihn an Bord geleitet und dann gleich festgestellt, dass er genau fünf Worte Englisch konnte. Ups. Das war selbst für den Kapitän eine Überrraschung. Vorher hatten die beiden Mails auf Englisch ausgetauscht. Wie das geht? Es lebe der google translator.. Haha, man kann heutzutage vorgeben, alles zu sein, alles zu können.
Blöd nur, dass die Stimmung auf dem Boot ja eh schon „leicht“ angeschlagen war. Zwei Tage vorher hatte Dave dem Kapitän, der anscheinend noch nicht registriert hatte, dass sein Projekt kurz vorm Scheitern ist, die Lage dargelegt. Dass ein Plan her muss, dass er sich den Damen gegenüber anders verhalten muss etc. Ale hatte dann trotzdem die Nase voll und ist abgedüst. Dave und ich hatten daraufhin gemeinsam beschlossen, es durchzuziehen. Dabei haben wir aber nicht einkalkuliert, dass wir uns ggf. auch in die Haare bekommen könnten.. Dumm gelaufen. Und weil es mir dann alles zu blöd war, habe ich mich verabschiedet. Meien Freundin Laura, die sehr sehr viel Erfahrung auf Booten jeglicher Art hat, beruflich und privat, hatte mich vorgewarnt. In den seltensten Fällen klappt das mit so zusammengewürfelten Crews. Ja, hatte sie wohl Recht, die Gute. 🙂 Das nächste Bier geht auf mich!
Aber nun hieß es erstmal: Bye Bye griechische Inseln – Hallo Sizilien!
Dank einer Dinnereinladung von Mourad, der ebenfalls ein Boot in der Marina hatte, hatte ich zwei Plan B – Möglichkeiten. Zum einen Mourad, den (von mir ernannten) Piraten, selbst. Mourad hatte übrigens super gute Geschichten zu erzählen, vom Zigaretten- und Rumschmuggel von Dschibuti in den Iran und so. Und kochen konnte er auch, war sehr lecker der Fisch. Und dann habe ich dort auch Barbara und Hans getroffen, die mit ihrem (selbst gebauten) Segelboot vor Anker lagen. Mit allen drei war ich weiter in Kontakt und hatte so verschiedene Optionen für den Fall, dass ich die Nase voll habe auf dem Boot. Mourad hat angeboten, ich könnte auf seinem Boot in Licata wohnen und dann evtl. später mit ihm mitsegeln, wenn er wieder zurück ist. Barbara und Hans, deren Pläne sich kurzfristig geändert haben, haben angeboten, mich die Küste mit hoch zu nehmen. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsste erstmal für mich sein, so dass ich mich herzlich bei allen bedankt habe und erstmal in Ortigia geblieben bin.
[ngg src=“galleries“ ids=“14″ exclusions=“171,173,178,179″ sortorder=“171,173,175,176,172,174,177,178,179,180″ display=“basic_slideshow“]Also Plan C. Wo nächtigen? Ein Hostel gab es zwar, aber das war zu. Airbnb’s mega teuer für eine Person alleine, Hotels eh.. Hmmm. Wer schon mal auf Sizilien war, weiß, dass es nicht der günstigte Ort auf Erden ist. Laura: „Klar, da machen ja auch die ganzen Millionäre Urlaub!“ Jaaaaaa..
Glücklicherweise waren wir aber nicht 24 Stunden auf dem Boot gefangen und haben uns es zwischendurch an Land ziemlich gut gehen lassen, mit leckerem Wein, Caponata, Granita, Kaffee und und und. Außerdem ist Ortigia ein super süßes barockes Örtchen.. Und wie das so ist, man trifft Locals, die einem in solchen Fällen auch gerne weiter helfen. So hatten Dave und ich unter anderem Fra und Bex kennen gelernt, die jemanden kennen, der jemanden kennt usw.. Ich skippe jetzt mal die Story. Am Ende hatte ich auf jeden Fall für fast eine Woche eine kostenlose Unterkunft und konnte mich erstmal sortieren. Das war tatsächlich auch bitter nötig, denn ich habe dann erst gemerkt, wie stressig das alles war. Puh, und das war sie nun, meine erste „Ich segel auf einem Boot mit – Erfahrung“. Nicht die beste, aber nicht so schlimm, dass ich es bei Zeiten nicht noch einmal versuchen werde. 😀